> Annabelle, ach Annabelle > Ich wollte wie Orpheus singen > Was kenn schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden?

Annabelle, ach Annabelle

Reinhard Mey

Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich intellektuell,
Du bist so wunderbar negativ
Und so erfrischend destruktiv.
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich unkonventionell,
Ich bitte dich, komm sei so gut,
Mach' meine heile Welt kaputt!

Früher war ich ahnungslos wie ein Huhn,
Doch sie erweitert mein Bewußtsein nun,
Und diese Bewußtseinserweiterung
Ist für mich die schönste Erheiterung.
Seit ich auf ihrem Bettvorlieger schlief,
Da bin ich ungeheuer progressiv,
Ich übe den Fortschritt und das nicht faul:
Nehme zwei Schritt auf einmall und fall' auf's Maul.

Früher, hab' ich oft ein eigenes Auto benutzt,
Hab' mir zweimal täglich die Zähne geputzt,
Hatt zwei bis drei Hosen und ein paar Mark in bar,
Ich erröte wenn ich denk' was für ein Spießer ich war.
Seit ich Annabelle hab', sind die Schuhe unbesohlt,
Meine Kleider hab' ich nicht mehr von der Reinigung abgeholt,
Und seit jenem Tag gehör' ich nicht mehr zur Norm:
Denn ich trage jetzt die Nonkonformisten-Uniform.

Früher, als ich noch ein Spießer war,
Ging ich gern' ins Kino, in Konzerte sogar.
Doch mit diesem passiv-kulinarischen Genuß
Machte Annabelle kurz entschlossen Schluß.
Wenn wir heu' ausgeh'n, dann geschieht das allein,
Um gesellschaftspolitisch auf dem Laufenden zu sein.
Heut', bitt' ich, Annabelle, erhör' mein Fleh'n,
Laß uns zu einem Diskussionsabend geh'n!

Früher hab' ich manchen Tag und manche Nacht
Auf dem Fußballplatz und in der Kneipe zugebracht,
Mit Freunden geplaudert, meine Zeit verdöst,
Doch dann hat Annabelle mich von dem Übel erlöst.
Heut' sitz ich vor ihr und hör' mit offenem Mund,
Wenn sie für mich doziert, Theorien aufstellt und
Ich wünsche diese Stunden würden nie vergehen.
Ich könnt' ihr tagelang zuhör'n, ohne ein Wort zu verstehen.

Früher dachte ich korruptes Spießerschwein,
Wer was schaffen will, müßte fröhlich sein.
Doch jetzt weiß ich, im Gegenteil,
Im Pessimismus liegt das Heil!
Früher hab' ich nämlich gerne mal gelacht,
Doch auch hier hat sie mich weitergebracht.
Heut' weiß ich, die Lacherei war reaktionär,
Infolgedessen denk' ich nach und schreit' ernst einher.

Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich intellektuell,
Zerstör' mir meine rosa Brille
Und meine Gartenzwergidylle!
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich unkonventionell,
Ich bitte dich, komm sei so gut,
Mach' meine heile Welt kaputt.

Früher saß ich gerne tagelang
Vorm Fernsehapparat und aß und trank
Und war ein zufriedener Konsument,
Doch in höchstem Grade dekadent.
Dann hat Annabelle mich vor nicht langer Zeit
Vom Konsumterror befreit.
Nur noch geist'ge Werte sind's, die ich begehr',
Und von nun an bleibt der Kühlschrank leer!

Früher war ich, wie das alles zeigt,
Einem billigen Vergnügen niemals abgeneigt,
Doch ab heute wird nicht meht genossen,
Dafür diskutier'n wir beide unverdrossen.
Wenn ich zu ihren Füßen lieg',
Dann üb' ich an mir Selbstkritik,
Und zum Zeichen ihrer Sympathie
Nennt sie mich "süßer Auswuchs kranker Bourgeoisie".

Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich unkonventionell,
Du bist so herrlich emanzipiert
Und hast mich wie ein Meerschweinchen dressiert.
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich intellektuell,
Un zum Zeichen deiner Emanzipation
Beginnt bei dir der Bartwuchs schon.

 

Ich wollte wie Orpheus singen

Reinhard Mey

Ich wollte wie Orpheus singen,
Dem es einst gelang,
Felsen selbst zum Weinen zu bringen
Durch seinen Gesang.

Wilde Tiere scharten sich
Friedlich um ihn her.
Wen er über die Saiten strich,
Schwieg der Wind und das Meer.

Meine Lieder, die klingen nach Wein
Und meine Stimme nach Rauch,
Mag mein Name nicht Orpheus sein,
Mein Name, gefällt mir auch!

Meine Lyra trag' ich hin,
Bring' sie ins Pfandleihhaus.
Wenn ich wieder bei Kasse bin,
Lös' ich sie wieder aus.

Meine Lieder sing' ich Dir,
Von Liebe und Ewigkeit,
Und zum Dank teilst Du mit mir
Meine Mittelmäßigkeit.

Kein Fels ist zu mir gekommen,
Mich zu hören, kein Meer!
Aber ich hab' Dich gewonnen,
Und was will ich noch mehr?!

  

Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden?

Reinhard Mey

Weil man mich zu Recht für einen Trottel hält,
Weil man mir die Mannequin-Karriere verstellt,
Weil das Mambotanzen sich nun auch nicht mehr lohnt,
Weil auf dem Mambokönigsthron bereits ein anderer thront,
Weil ich pleite, faul, gefräßig bin, entscheide ich prompt,
Daß für mich nur ein erholsamer Beruf in Frage kommt.
So komm' ich um die Erkenntnis nicht umhin,
Daß ich wohl zum Staatsmann geboren bin,
Denn wie sagte doch mein Vorbild Fred Kasulzke einmal
Nach seinem elften dicken Immobilienskandal:
Wer die Noten liebt, der mache Musik,
Aber wer die Banknoten liebt, der mache Politik.

Was kann schöner sein auf Erden
Als Politiker zu werden.
Vom Überfluß der Diäten
Platzen dir die Taschen aus den Nähten.
Du kannst dir auf leisen Sohlen
Dein Schäfchen ins Trock'ne holen.
Prost! Es lebe die Partei!
Frisch und fromm und steuerfrei!

Etwas Anständiges hab' ich Gott sei Dank nicht gelernt,
Hielt mich stets vom rechten Pfad der Tugend entfernt,
Und so steht; wenn ich mir meine Fähigkeiten überleg',
Einer Laufbahn als Politker schon gar nichts mehr im Weg.
Außderdem hab' ich noch ein paar Trümpfe auf der Hand.
Mir sind von 'nem Minister ein paar Dinge bekannt,
Durch Kasulzkes Immobilien-Firma ist er mir vertraut,
Denn er hat dessen Maitresse einen Swimmingpool gebaut,
Und zum Dank und dafür, daß die Frau Minister nichts erfährt,
Hat er ihm den Auftrag für eine Sozialsiedlung beschert.
Dabei viel für den Minister noch ein Bungalow mit an,
Und Kasulzke baut noch achtzig Kilometer Autobahn.

Was kann schöner sein auf Erden...

Der Minister, der sich während jeder Sitzung schlafend stellt,
Tut als ob er, wie die andern, nur sein Mittagschläfchen hält,
Hat dabei die Ohren offen und verdient sich als Spion
Bei der Rechten, bei der Linken, bei der Opposition.
Dieses Wissen bringt mir mehr als ein Hochschulstudium ein
Und beschleunigt die Beamtenlaufbahn ungemein.
Wenn dem Mann an seinem Amt liegt,
    und es liegt ihm sehr daran,
Dann versteht er, daß er auf mich nicht verzichten kann.
Wenn ich dann die schwere Bürde meines hohen Amtes trag',
Dan erlaub ich mir den ersten Beratervertrag,
Kassier' von jedem Rüstungsauftrag Provision
Und beginn' eine Kampagne gegen Korruption.

Was kann schöner sein auf Erden...

Früher hatte ich vor Wahlen noch Gewissensqualen,
Heute wähl' ich die, die am meisten dafür zahlen.
Und geht irgendwann die Fraktion baden dabei,
Dann hör' ich auf mein Gewissen und ich wechsle die Partei.
Unter meinesgleichen habe ich mich bestens bewährt,
Darum wird mir nächstens das Verdienstkreuz beschert,
Und ich werd' vom Papst empfangen, geadelt und geehrt,
Nach der alten Devise: Wer gut schmiert, der gut fährt.
Die Zukunft seh' ich rosig, die Kollegen schweigen still,
Weil von denen keiner vor den Untersuchungsausschuß will.
Und platzt der ganze Schwindel eines Tages, na wenn schon,
Dann geh' ich krankheitshalber vorzeitig in Pension.

Was kann schöner sein auf Erden...

 

 

 

[zurück]