Ostereierliste 2004

Die Welt aus Sünde

Autor: Irrlichtjäger
Genre: Märchen
Anmerkung: Dies ist ein Original. Ihr kennt die Regeln.
Warnungen: -

Vor langer Zeit, als die Erde noch ganz glatt war und der Himmel noch ganz still und schwarz war, lebten auf der Erde die Titanen. Sie alle waren von den Göttern geschaffen worden und deswegen Brüder und Schwestern. Sie liebten die Einfachheit ihrer Erde und die Dunkelheit des Himmels. Doch waren da zwei unter ihnen, die sich nicht mit der Stille und der Einfachheit zufrieden geben wollten. Der eine war Lyrus, wäre so schön wie eine Blume gewesen, hätte es Blumen gegeben. Seine Leidenschaft, die er in alles legte, was er tat, machte ihn zu etwas einzigartigem. Der andere trug den Namen Karoon. Er war beinahe so stark wie ein Gott und in allem was er tat so entschlossen, wie es kein anderer war.

Die Herzen dieser beiden Titanen waren einander zugetan und bald nachdem sie einander das erste Mal begegnet waren wollten sie nie wieder scheiden. Obwohl ihnen gewahr war, dass ihre Liebe von den anderen nicht angenommen wurde, konnten sie nicht anders als einander zu lieben. Nun war es aber so, dass auf der glatten Erde und unter dem dunklen Himmel es kein Versteck für die beiden gab. Denn Titanen hatten eine guten Sicht und egal wie weit die beiden liefen immer sah einer ihres Volkes die beiden Liebenden. Titanen durften jedoch nur das Land und den Himmel lieben, aber nicht einander.

Dies war die erste Liebe unter den Titanen und ihre erste Schuld.

So geschah es, dass die anderen Titanen zusammenkamen um sich über das ungebührliche Verhalten ihrer Brüder im Geiste zu beraten. „Es ist nicht rechtens.“ Meldete sich der erste.
„Es stiftet Zwiespalt.“ Meinte ein zweiter und ein dritter sagte: „Es ist nicht von den Göttern erlaubt.“
Ein weiterer fügte hinzu: „All unsere Liebe soll dem glatten Land unter unseren Füßen und dem dunklen Himmel über unseren Köpfen gelten.“
So beschlossen die Titanen ihre beiden Brüder zu trennen. So war es gesprochen, so war es getan.
Da sie aber Angst vor Karoons Stärke und Lyrus’ Leidenschaft hatten beschlossen sie einen Trick anzuwenden um die beiden zu trennen.
Der älteste Titan schickte Karoon mit einer Aufgabe in einen weit entfernten Teil der Welt und obwohl der junge Titan nicht gehen wollte, hatte er dennoch keine Wahl, denn es war seine Pflicht, wie die aller Titanen, den ältesten zu gehorchen. So ging er, nicht ohne sich von seinem Geliebten mit vielen Küssen zu verabschieden. Lyrus wäre zu gerne mit ihm mitgegangen, doch seine Aufgaben hielten ihn an diesem Ort der Welt, so konnte er Karoon nur hinterher schauen und hoffen ihn bald wieder zu sehen.

Als Karoon weit genug weg war, dass auch seine scharfen Augen seinen Geliebten auf keinen Fall mehr entdecken konnten, kamen drei Freunde Lyrus’ zu ihm um mit ihm zu reden und zu scherzen. Doch ohne seinen Geliebten wollte und konnte Lyrus nicht glücklich sein. Also entschuldigte er sich früh von seinen Freunden und wandte sich von ihnen ab. Da sprangen ihn die drei von hinten an und schlugen ihn nieder.

Dies war der erste Verrat unter Titanen und ihre zweite Schuld.

Wie nun der junge Titan ohne Bewusstsein dalag, banden ihn die anderen und sperrten ihn in einen Käfig. Dann berieten sie, was mit dem Jungen zu tun sei, damit sein Geliebter ihn nicht fand und befreien konnte.
Schließlich beschlossen sie ihn tief in die Erde zu vergraben und diese dann wieder zu glätten, damit es kein Unterschied geben solle zwischen vorher und danach. So war es gesprochen, so war es getan.

Fünf der Stärksten unter ihnen gruben tief in die Erde um für Lyrus ein Gefängnis zu schaffen. Dies Loch war so tief, dass es bis zum kalten und dunklen Kern der Erde reichte. Dann ließen sie den Käfig mit dem jungen Titan hinunter und schütteten wieder Erde in das Loch, solange bis die Erde darüber wieder so glatt war wie zuvor.

Dies war das erste Mal, dass Titanen die Erde verletzten und ihre dritte Schuld.

Als nun nach einiger Zeit Karoon wieder zurückkam und entdeckte, dass Lyrus nicht mehr dort war wo er ihn zurückgelassen hatte, wurde sein Herz ganz eng. Denn er wusste, dass sein Geliebter eine Aufgabe hier hatte und diese nicht verlassen hätte. Überall suchte seine Augen die glatte Erde ab, ob er nicht die Spuren von Lyrus entdecken könnte, doch nirgends fand sein gieriger Blick auch nur einen Abdruck des Fußes seines Geliebten. Da machte er sich auf den Weg zu ihren gemeinsamen Freunden, um sie um Rat zu fragen. Doch diese drei erzählten ihm, dass Lyrus weggegangen wäre, weil sein Herz sich von Karoon abgewendet hätte.

Dies war die erste Lüge der Titanen und ihre vierte Schuld.

Als nun aber Lyrus in seinem Gefängnis tief unter der Erde erwachte. Da wurde ihm gewahr, wie sehr seine Brüder ihn betrogen hatten und Wut stieg in ihm auf. Seine Wut war so heiß, brennend und leidenschaftlich, dass sie selbst die kalte Erde um ihn herum erst zum Schmelzen und dann zum Kochen brachte. Die Erde brach auf und ihr heißes Blut strömte an die Oberfläche.

So wurden die ersten Vulkane geboren. Als Karoon sah, wie die Erde aufbrach und der flüssige Stein durch die Oberfläche brach, wurde auch ihm bewusst, dass seine Brüder ihn belogen hatten. Mit Schrecken erkannte er, dass sein Geliebter sich nicht selbst befreien konnte. Voller Angst seinen Lyrus endgültig zu verlieren begann Karoon mit bloßen Händen in der Erde zu graben. Zwar verbrannten durch die Hitze seine Hände, aber der junge Titan war entschlossen seinen Geliebten wieder auszugraben, und wenn er dafür die ganze Erde hätte ausheben müssen.

Als die anderen Titanen sahen, dass das Gefängnis ihres Bruders barst und die Erde seine Wut nicht aushalten konnte, schlich sich Angst in ihre Herzen. Denn zu Recht fürchteten sie die Wut ihres Bruders Lyrus und die Entschlossenheit ihres Bruders Karoon. So brauchte es nicht wenige Worte bis sie sich entschieden auch Karoon niederzuschlagen und den verborgenen Lyrus herauszuholen um dann ein neues Gefängnis für ihn zu schaffen. So war es gesprochen, so war es getan.

Karoon hatte schon viele tiefe Schluchten in die Erde geschlagen, denn da er nicht wusste, wo sein Geliebter war, so suchte er überall nach ihm. Mit allem was er geben konnte suchte Karoon nach seinem Geliebten, so dass er die anderen Titanen nicht bemerkte, die sich von hinten an ihn heranschlichen. Diese schlugen ihn schnell nieder und banden seine Hände und Füße. Doch hatten sie zuviel Angst auch ihn in einen Käfig zu sperren, denn es gab keinen Käfig den sie hätten bauen können, der Karoon aufgehalten hätte. Aus Angst, dass ihr starker Bruder voller Wut zu früh erwachen könnten hatten die Titanen Karoon so hart geschlagen, dass nun sein Blut auf die Erde tropfte.

Dies war das erste Blut dass von einem Titan vergossen wurde und ihre fünfte Schuld.

Dort wo es die Erde berührte bildeten sich die ersten Pflanzen und Gras begann zu sprießen. Doch keiner bemerkte es, denn Karoon lag in tiefer Bewusstlosigkeit darauf und schützte es so vor den Blicken seiner Brüder.

Was Karoon nicht wusste war, dass Lyrus Gefängnis durch die aufgebrochene Erde mit dem Lavastrom nach draußen geschwemmt worden war und er jetzt am Rande eines der neuen Vulkane lag. Lyrus selbst war noch immer in seinem Gefängnis, doch hatte ihn seine Wut so sehr erschöpft, dass er eingeschlafen war. So bemerkte er nicht, wie die anderen Titanen ihn hochhoben und fortbrachten.

Nun musste ein neues Gefängnis gefunden werden, einen Ort an den Karoon nicht gelangen konnte und an dem Lyrus Leidenschaft nichts würde zerstören können. Denn seine leidenschaftliche Wut war so stark gewesen, dass das innere der Erde wohl für immer von ihrer Hitze gewärmt werden würde. Und dieser Platz musste schnell gefunden werden, denn alle waren sich sicher, dass Karoons Fesseln nicht halten würden, wenn er wieder erwachen sollte.

Suchend schauten sich die Titanen um und schließlich fiel ihr Blick auf den dunklen Himmel über ihnen. Er war glatt wie die Erde und vollkommen rein, denn die Titanen sahen danach, dass kein Stäubchen und kein Stückchen Dreck auf ihn fiel, so klein es auch sein mochte. Dort gab es nichts und niemanden. Die Leere und Einsamkeit würden Lyron standhalten können. Also stiegen sie die Himmelstreppe, die von den Göttern geschaffen worden war, ganz nach oben und befestigten Lyrus Käfig am Zenit. Als sie wieder herunterstiegen, wurde ihnen plötzlich klar, dass Karoon auch den Himmel erreichen kann, wenn sie es könnten. Deswegen zerstörten sie die Himmelstreppe und verteilten ihre Stücke auf der Erde, so dass es überall kleine Berge gab.

Dies war das erste Mal, dass Titanen etwas Gottgegebenes absichtlich zerstörten und ihre sechste Schuld.

Als Lyrus wieder erwachte und sah wo er war. Da schrie er seinen Schmerz laut heraus, denn er wusste, dass er den Boden unmöglich erreichen konnte. Von seinem Schrei aufgeweckt stand nun auch Karoon auf. Er blickte sich überall um, doch konnte er seinen Geliebten nur hören nicht sehen, denn der Himmel war dazu zu dunkel. Er lief durch die ganze Welt und suchte seinen Geliebten. Als Lyrus sah wie Karoon umherirrte und ihn nicht sehen und nicht finden konnte, da erwachte wieder seine Wut und diese strahlte so hell, dass der ganze Himmel erleuchtet wurde.

Dies war das erste Mal, dass Titanen Licht in die Welt gebracht wurde und ihre siebte Schuld.

Nun konnte Karoon sehen, wo sein Geliebter war, doch kam er nicht zu ihm, denn die Himmelstreppe war ja zerstört. Da verlor Karoon seinen Verstand. Wieder grub er in der Erde und schüttete sie so hoch auf, wie er nur konnte, damit er den Himmel erreichen konnte. So entstanden die ersten Gebirge. Die Erde schrie ihren Schmerz heraus, doch Karoon war nicht aufzuhalten. Immer tiefer grub er, immer höher wuchsen seine Berge.

Als Lyrus sah, wie sein Geliebter der geliebten Erde Schmerz zufügte und seinen kalten Gesichtsausdruck sah, der ihm zeigte, dass er nicht aufgeben würde, da weinte er um sie beide, denn nun wusste er, dass alle Hoffnung verloren war. Und seine Tränen trafen auf die verwundete Erde und linderten ihren Schmerz, glättete ihre Oberfläche und ließ Seen und Flüsse entstehen. Als die Tränen seines Geliebten auf Karoon trafen fand dieser wieder zu seinem Verstand zurück. Er hob den Blick gen Himmel und sah in den Augen seines Geliebten den Schmerz der Erde widergespiegelt. Da weinte auch Karoon und seine Tränen waren bitter und voller Selbstanklage.

Dies war das erste Mal, dass Titanen Tränen vergossen und ihre achte Schuld.

Doch Karoon gab nicht auf. Wenn er schon nicht bei seinem Geliebten sein konnte, so wollte er wenigstens dessen Lachen wieder sehen. Er beschoss die Berge wieder zu zerstören und die tiefen Wunden der Erde wieder aufzufüllen. Doch die Berge waren bereits zu groß und zu mächtig und die Tränen der beiden Titanen hatten sie in harte Felsen verwandelt. Da nahm Karoon die Erde, die noch weich war und formte aus ihr und den Tränen kleine Figuren. Doch auch diese brachten Lyrus nicht zum Lachen. Da badete Karoon die Figuren in seinem Blut, das schon einmal Leben hatte entstehen lassen. Und siehe da, die Figuren fingen an sich zu bewegen und umher zuspringen.

Als Lyrus das lustige Treiben unter sich sah, lachte er aus vollem Herzen und seine Tränen wurden süße Tränen der Freude und sein Licht wurde das sanfte Licht der Liebenden. In Karoon entbrannte bei diesem Anblick eine noch größere Liebe und er wollte nichts mehr als seinen Geliebten in die Arme zu nehmen. So lief er an den Rand der Welt, wo der Himmel auf die Erde traf. Hätte es Jahre gegeben wäre er Jahre gelaufen. Karoon wollte am Himmelszelt hoch klettern, bis er den Käfig seines Geliebten hätte erreichen können, doch der Himmel war zu glatt und rutschig.

Da wurde der Titan wütend und griff mit beiden Händen nach dem Himmelszelt, um es zu sich herunter zu ziehen. Und er zog und er zerrte, und langsam bewegte es sich. Doch der Käfig seines Geliebten bewegte sich nicht mit. Da griff Karoon wieder nach dem Himmelszelt und hielt sich daran fest. Und das Himmelszelt drehte sich und Karoon wurde von ihm nach oben getragen, immer näher zu Lyrus. Und still warteten die beiden Titanen, bis sie wieder vereint sein würden.

Als die Stille über die Erde fiel, da glaubten die anderen Titanen, dass Karoon endlich aufgegeben hätte und sie kamen wieder aus ihren Verstecken hervor. Doch als sie sahen, was Karoon und Lyrus der Erde angetan hatten, da erschraken sie zutiefst. Verwundert und mit schmerzenden Herzen liefen sie über ihre einst wundervoll glatte Erde. Und als sie nach oben blickten um nach Lyrus zu sehen, da sahen sie wie das Himmelszelt sich drehte und wie Karoon immer näher zum Gefängnis seines Geliebten getragen wurde. Und sie wussten, dass sie machtlos und klein waren.

Da riefen die Titanen nach ihren Göttern und ihre Schreie waren so verzweifelt und so laut, dass sie Ohren der Götter wirklich erreichten. Nun kamen die Götter auf Erden um sich anzusehen, warum ihre Kinder so schrieen. Und dies war was sie sahen:

Die einst glatte Erde war aufgerissen worden, Flüsse und Seen bedeckten sie. Berge waren dort und tiefe Schluchten. Ihr Kern war so heiß, dass er alles verbrennen konnte. Kleine Geschöpfe spielten im Gras, in den Lüften und in den Wassern. Der Himmels, einst dunkel und unbewegt, drehte sich nun langsam aber stetig und wurde von einem leuchtenden Titanen im Zenit erhellt. Ein anderer Titan hielt sich am Himmelszelt fest, seine Hoffnung leuchtete nicht so stark wie die des Eingesperrten, aber auch sie erhellte einen Teil der Erde. Andere Titanen standen auf der Erde und verlangten eine Bestrafung der beiden Liebenden. Da ließen die Götter die Zeit still stehen und setzten sich zusammen um zu beraten. Hätte es Jahre gegeben hätten sie jahrelang beraten.

Schließlich wandten sich die Götter an die Titanen und sprachen ihr Urteil. Für ihre Schuld der Liebe blieb Lyrus in dem Käfig, dieser wurde jedoch so am Himmelszelt befestigt, dass er sich mit ihm bewegte. Für seine Schuld der Liebe wurde Karoon die Fähigkeit verliehen über den Himmel zu laufen, doch war er langsamer als der Himmel selbst, auch stolperte er oft und fiel immer wieder hin, denn die Götter nahmen ihm eines seiner Beine. Für ihre Schuld des Verrats, der aufgerissenen Erde, der Lüge, des Blutes und die Zerstörung der Göttlichkeit der Erde wurden alle anderen Titanen von ihr verbannt. Andere Planeten bekamen nun ihre Aufmerksamkeit. Doch keiner davon war so dunkel, glatt und schön wie die Erde es einst gewesen war. Stattdessen erschienen auch ihre Lichter am Himmelszelt der Erde.

Als jetzt die Götter die Erde betrachten und sahen, dass Lyurs Licht nicht aufhörte zu leuchten und nie aufhören würde zu leuchten und dass Karoon dem Käfig seines Geliebten noch immer folgte und immer folgen würde. Da sahen sie, dass sie die Spuren der Schuld auf der Erde nie würden auslöschen können und sie beschlossen ein Wesen zu dessen Verwaltung einzusetzen, dessen Innerstes aus Schuld bestand und das nur durch Schuld überlebte. So setzten sie die Menschen auf der Erde aus und verließen sie, um sie ihren eigenen Göttern zu überlassen.

Und der Käfig des Lyrus dreht sich mit dem Himmelszelt und seine Hoffnung und Liebe strahlt in einer Leidenschaft, die die ganze Welt erleuchtet. Und Karoon läuft ihm weiter nach und kommt mal näher und fällt mal wieder weiter zurück, doch seine Entschlossenheit bleibt und erhellt die Teile der Welt die von Lyrus Licht nicht erreicht werden. Und unter ihnen lebt die Welt, denn auch das Chaos und die Sünde können schön sein. So entstand die Welt aus den Acht Sünden der Titanen und so wird sie weiter bestehen, bis die Liebe von Lyrus und Karoon erlischt, bis die letzte Sünde die Welt verlässt und sie wieder still, glatt und kalt wird.

Doch ‚Niemals’ ist noch zu früh, als dass es da geschehen könnte.

Ostereierliste 2004